Donnerstag, 21. August 2025

Lowlands Festival - 14.08.-17.08.2025 - Biddinghuizen/NL

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Konzert: Lowlands Festival
Ort: Biddinghuizen/NL
Datum: 14.08.-17.08.2025
Dauer: 4 Tage
Zuschauer: 65.000 sold out



Die Ankunft am Campingplatz am Freitagmorgen beginnt mit der typisch entspannten Lowlands-Atmosphäre: Der Campingplatz im niederländischen Biddinghuizen ist bereits gut gefüllt, da die Anreise bereits am Donnerstag möglich ist. 

Nun heißt es Zeltleinen straffen, Heringe in den Boden schlagen und dann dieser weite Blick über die aufgehende Festivalstadt: bunte Zelte, erste Begegnungen, Musik weht einem entgegen und die Vorfreude greift wie ein freundlicher Pogo. Schon erste Blicke auf das Gelände verheißen ein abwechslungsreiches Wochenende: Kunstinstallationen auf grünen Wiesen, kreative Skulpturen – so wird der Festivalgeist greifbar. Man fühlt sich als Gast und nicht als Kunde.

Ein Beispiel sind die Übergänge vom Zelt-zum Festivalgelände. Keine Zäune oder schlecht gelaunten Secs erwarten einen hier. Den Besuchern wird vertraut und die belohnen sich selbst und den Veranstalter mit einem unglaublich relaxten Wochenende. 



Alles stimmt an diesem ersten Festivaltag. Das Wetter ist perfekt, blauer Himmel, warme Sonnenstrahlen und dazu gibt es ja auch noch Konzerte auf mehr als 10 Bühnen bis tief in die Nacht. Life as it should be.


Der energiegeladene Auftritt der Irischen Musikerin CMAT mit vollem Namen Ciara Mary-Alice Thompson, lädt mit den ersten Tönen zu einem Wochenende voller Entdeckungen und musikalischer Vielfalt ein. "The Guardian" schrieb über ihre Musik: „Ihre Lieder sind traurig und doch zugänglich, emotional gebildet und geschickt gestaltet, aber, was entscheidend ist, mit einem enormen Sinn für Humor."

Und genau dieser Humor und die Spielfreude der Band sind ein perfekter Auftakt für den ersten Tag. Weiter geht es zu einem kurzen Abstecher ins "Bravo" (eigentlich der Tanztempel der Nacht. Ein Zelt für ca. 10.000 Zuschauer) um bei Kingfishr feinsten Irischen Indie Folk zu hören, der einen an Mumford and Sons erinnern lässt. 

Das Programm beim Lowlands ist so vielfältig und auf dem eigentlichen Weg zur nächsten Location gibt es soviel zu entdecken, manchmal schafft man es nicht immer alle Konzerte komplett zu erleben. Auf dem Weg zum "Alpha" (der Main-Stage Dome) gibt es noch einen kurzen Moment im "India" Podium, dort stehen Deadletter auf der Bühne, die für ihren energiegeladenen Post-Punk-Sound bekannt sind, der Elemente von The Fall und LCD Soundsystem aufgreift. Dringend zu empfehlen. 


Zwei Bands die ich auf jeden Fall an diesem ersten Tag komplett sehen wollte, spielen im Alpha: London Grammar: kühl, makellos, unnahbar. Als Hannah Reid und ihre Band die Bühne betreten, ist alles perfekt, fast zu perfekt. Glasklare Stimme, makelloser Sound, jede Note sitzt wie aus dem Studio geschnitten. 

Doch zwischen Bühne und Publikum liegt eine unsichtbare Glasscheibe. Kaum ein Wort, kein Blick, kein Moment, der diese Barriere durchbricht. Viele lauschen gebannt, andere spüren eine kühle Distanz – schön anzuhören, aber schwer zu fühlen. Dazu passt die Sonnenbrille, die Hannah das gesamte Konzert nicht abnehmen wird, obwohl sie in unter einem riesigen Dach spielt. Ein Konzert wie ein poliertes Kunstwerk: man bewundert es, aber man berührt es nicht. 


Queens of the Stone Age dagegen: roh, direkt, ein verschwitzter Traum.  Als Josh Homme und seine Mitstreiter übernehmen gibt es keine Spur von Zurückhaltung. Jeder Riff ein Faustschlag, jede Ansage ein Augenzwinkern. Die Band verschmilzt mit der Menge, und als Josh Homme sich spontan direkt in die Zuschauer hineinwirft, lebt er und wir im Moment.

Wo London Grammar Abstand hielt, reißen Queens of the Stone Age die Festivalmauern ein. Zwei Extreme an einem Tag – und genau dafür liebt man Festivals: Man kann sich erst im kühlen Neonlicht verlieren und später in rotem Scheinwerferfeuer wiederfinden. 


Am zweiten Tag passiert, das was sich jeder Festival Liebhaber wünscht, die Erinnerung an die an dem Tag bis dahin gesehen Bands ist verschwimmt im Nachhinein, denn ein Abend mit FKA Twigs ist kein gewöhnliches Konzert. Es fühlte sich eher wie ein Theaterstück an, vielleicht sogar wie ein Ritual, in dem wir alle Zeugen wurden oder Komplizen. 

Von der ersten Minute an stand die Bühne nicht nur für Musik, sondern für ein Spiel aus Körper, Stimme und Emotionen. Die Show begann roh und brutal: Bewegungen, die an Kampf erinnerten, scharfe und brutal klare und laute Beats, die den Raum zerschnitten, und eine Intensität, die das Publikum in den Bann zwang. Fast animalisch, voller Kraft, fast gewalttätig in ihrer Direktheit. 


Doch diese Härte verwandelte sich mit fließender Eleganz. Zwischen schweißtreibender Ekstase (wirklich) und hochgradig sexuell aufgeladener Präsenz offenbarte FKA Twigs eine Sinnlichkeit, die nie platt, sondern immer kunstvoll inszeniert war. Tanz, Gesten und Blicke verwoben sich zu einer körperlichen Sprache, die so unmittelbar wirkte, wie ihre Songs. 

Dann folgten die Brüche. Plötzlich zerbrechlich, fast verletzlich, stand sie da und sang Balladen, die so hoch emotional waren, dass der ganze Saal in eine andere, fast intime Sphäre gezogen wurde. Jeder Ton wirkte wie ein Geständnis, jede Silbe wie ein offener Nerv. FKA Twigs erzählte an diesem Abend keine Geschichte im klassischen Sinn. Sie zeigte Zustände, Extreme, Übergänge – roh, brutal, sexuell aufgeladen, dann wieder sinnlich und verletzlich. Es war ein Fiebertraum, aus dem man am Ende aufwachte, ein wenig benommen, ein wenig verändert. 

Der dritte Tag begann noch im Halbschlaf: Black Country, New Road eröffneten mit zarten, verschlungenen Songs, die wie ein vorsichtiges Aufwachen wirkten. Fragil, manchmal brüchig, dann plötzlich kraftvoll – ihre Musik schuf sofort eine besondere Nähe zwischen Bühne und Publikum. 


Es folgten die Fontaines DC. Ihr Auftritt war laut, treibend, kantig – aber vielleicht zu sehr auf Autopilot, nach einem vollen Jahr auf Tournee. Die Energie war da, die Songs rissen mit, aber es fehlte das Unberechenbare, das Überraschende. Man sah eine Band, die weiß, wie man ein Festivalpublikum bedient, aber die Leidenschaft schien ein Stück weit hinter der Routine zu verschwinden. 

Und doch: die Menge ließ sich mitreißen, tanzte, schrie. Die Energie stimmte, das Publikum ging mit, aber die Überraschung fehlte. Ein Sturm, der zündet, aber kaum nachhallt. Als die Sonne langsam tiefer sank, brachte MK.GEE eine andere Farbe ins Spiel. Sein Sound erinnerte an die elektronische Phase von  Bon Iver – dieses Schweben zwischen Intimität und elektronisch verzerrter Entrückung. 

Plötzlich war da Wärme, fast so, als würde jemand eine Decke um die erschöpften Körper legen. Seine Stimme klang verletzlich und nah, die Songs breiteten sich aus wie kleine Träume. Zwischen all der Lautstärke des Tages war das einer der Momente, in denen man wirklich stehen blieb, um zu lauschen. 
Sein Gesicht war zu fast keiner Sekunde erkennbar, Nebel und Stobolicht boten eine anstrengende und oft nicht passende Untermalung dieses musikalisch fantastischen Konzerts. 

Zum Abschluss verwandelte Jamie xx das Gelände in eine Tanzfläche. Mit dichten, hypnotischen Beats trug er die Menge durch den Abend, baute Spannung auf und löste sie immer wieder ein. Ein Finale, das weniger Konzert als kollektives Abschiednehmen war. Auf jedem anderen Festival wäre dieses DJ-Set herausragend. Hier tanzt man zu ähnlich guter Musik noch auf sieben weiteren Bühnen mit diversen Stilen durch die Nacht.


Am Morgen danach begann das eigentliche Erwachen. Das Festivalgelände lag stiller da, nur das Knistern von Müllsäcken und das Quietschen zusammenfallender Zeltstangen war zu hören. Mit jedem Handgriff beim Abbau, mit jeder zusammengerollten Isomatte verabschiedete man sich ein Stück mehr von den letzten Tagen.


Als der letzte Hering aus der Erde gezogen war, blieb ein Moment des Innehaltens: der Blick über den leeren Zeltplatz, über Spuren von Nächten voller Musik und Begegnungen. Müde, aber glücklich ging es zurück Richtung Alltag – mit der Gewissheit, dass die Vorfreude auf das nächste Jahr schon jetzt wieder wächst.


Mittwoch, 13. August 2025

Heimspiel Knyphausen Festival 2025

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Konzert: Heimspiel Knyphausen
Ort: Eltville
Datum: 25.07-27.07.2025
Dauer: 3 Tage
Zuschauer: ausverkauft


Giesbert lädt ein – und wieder füllt sich der Draiser Hof mit Klang, Kunst und ganz viel Seele. Vom 25. bis 27. Juli 2025 verwandelte sich das Weingut Baron Knyphausen wieder in einen der stimmungsvollsten Orte für Musikliebhaber:innen zwischen Reben, Rhythmus und Riesling. 

Rund 2.500 Gäste fanden sich ein – das Festival war restlos ausverkauft. Heimspiel eben, auch wenn angesichts der eher düsteren Wetterprognosen zuletzt sogar noch Camperticktest von privat zu privat zu bekommen waren. 

Die FAZ nannte es treffend „ein besonderes Fest“ – ein Festival, das sich bewusst klein hält, ohne dabei an Relevanz zu verlieren. Ganz im Gegenteil. Statt Massenspektakel: echte Gläser, Kindertribüne, Picknickdecken und na klar Gummistiefel. 


Und ein Line‑Up, das nicht auf Retro-Nostalgie, sondern auf aktuelle Klangmomente setzt. Kuratiert mit Herz und Haltung – von Gisbert zu Knyphausen und Benjamin Metz. Schon am Donnerstag: Anreise, Aufbau, Wiedersehen. Obstwiese für Familien, Sportplatz, Pensionen oder Hotel für alle anderen. Die Stimmung war sofort da. Der Bühnengraben diesmal passend von Johannes und seinem Team platziert und auch und Doro als Stage Managerin war wieder an Bord. Mehr Überblick, mehr Ruhe – vor wie hinter der Bühne. 


Und wie immer: ein Festival, das wächst, ohne sich zu verbiegen. Noch bevor der erste Ton erklang, klapperte es: Andi Substanz aus Münster – Poetry Slammer, Lyriker und Maschinenpoet – war an allen drei Tagen präsent. Zwischen Open Doors und dem ersten Gig setzte er sich mit seiner Reiseschreibmaschine unter Bäume und zwischen Bänke, nahm Stichworte entgegen und tippte Gedichte. Direkt, persönlich, liebevoll. Eine neue (?) Festivaltradition zum Mitnehmen. Und ein Beweis dafür, dass beim Heimspiel nicht nur Musik, sondern auch Poesie in der Luft liegt. 

Der Freitag begann mit einer leisen Wucht: Edna Million eröffnete das Festival – und war meine ganz persönliche Überraschung. Eine Performance, so reduziert wie eindringlich. Eine Stimme, die nicht gefallen will, sondern erzählt. Und das mit einer Tiefe, die bleibt. Danach: Tonbruket. Die schwedische Band mit Jazzwurzeln und Postrock-Vision schuf einen Raum, in dem sich Genres auflösten und das Publikum einfach hineinfiel. Ihr Auftritt war dabei nicht zufällig – Gisbert selbst hatte sich Tonbruket explizit gewünscht, ein Herzensact. Und dieser Wunsch zahlte sich aus: Das Zusammenspiel von atmosphärischer Klangarchitektur, instrumentalem Erzählen und musikalischer Weite war pure Festivalmagie. 


Zum Abschluss des ersten Abends dann Warhaus. Die Band beendete den Tag mit melancholischer Grandezza – belgischer Nachdenklichkeit, cineastischem Sound und einem Auftritt wie ein gutes Buch: dunkel, dicht, nachwirkend. Warhaus wurde 2016 als Solo-Musikprojekt von Maarten Devoldere, Frontmann der belgischen Band Balthazar, ins Leben gerufen. Teile der Songs wurden damals sogar mit der Stammband eingespielt. Schon das Debütalbum „We Fucked a Flame into Being“ (2016) war eine künstlerische Wucht – dunkel, elegant, intellektuell aufgeladen. 2024 folgte die vierte Platte: „Karaoke Moon“. Der Titel ist nicht nur Zitat, sondern Konzept – denn Karaokeeinlagen mit dem Publikum gehören seitdem gern ins Live-Set. 


Auch beim Heimspiel wurde das Mikro im besten Sinne geteilt. Der Samstag begann auf dem Rhein: Heimspiel-Liner mit Hannes Wittmer. Zwei Konzerte, zwei Fahrten, viele Gänsehautmomente – zwischen Wasser, Wind und Weinglas. Wittmer, vielen noch bekannt als Spaceman Spiff, begleitet die Morgenfahrt nicht nur musikalisch, sondern auch thematisch mit Tiefe: Seine Songs setzen gesellschaftskritische Akzente, erzählen aber zugleich mit großer Offenheit von psychischen Erkrankungen wie Depressionen. 

Damit richtet sich sein Blick nicht nur auf das Schöne, sondern auch auf die dunkleren Seiten des Lebens – achtsam, poetisch, klar. Ein Einstieg ins Festival, der unter die Haut ging. Zurück am Hof eröffnete Philippa Kinsky – klar, eigen, aufrichtig. 


Danach: Samuel Nicholson, gewohnt intensive und für alle ein herausragender Act. Und dann kam die zweite große Überraschung: Nils Keppel. Ursprünglich sprang er für die sehnsüchtig erwarteten Personal Trainer ein – die Indie-Helden aus Amsterdam, bekannt für überbordende Liveshows, orchestrale Setups und viel Krach mit Köpfchen. Doch was als Lückenfüller begann, wurde zum Volltreffer. 

Nils überzeugte mit Charisma, klarer Sprache und musikalischer Wucht auf ganzer Breite. Später am Abend: Isolation Berlin – zum ersten Mal live beim Heimspiel, nach ihrem legendären, kontaktlosen Auftritt bei „Heimspiel Daheim“ während der Pandemie, damals gefilmt von Drohnen, moderiert von Christiane Falk (radioeins). 


Jetzt standen sie endlich vor echtem Publikum – roh, ehrlich, laut. Und den Abschluss des Tages setzte Noga Erez. Headliner, Haltungsträgerin, Ausnahmekünstlerin. Geboren in Israel, nicht im Einklang mit der Politik ihres Landes, dennoch immer wieder auch Zielscheibe von Anfeindungen. Ihre Performance: kompromisslos, klug, kraftvoll. Und ein starkes Zeichen in einem Musikbusiness, das Frauen nach wie vor strukturell benachteiligt. 


Nicht so beim Heimspiel – hier ist Diversität Programm. Auch kulinarisch wurde am Samstag einiges geboten: Im Weinlager der Vinothek fand die exklusive Käse-Wein-Probe statt – mit Klassikern wie Stilton, Comté und Löffelgorgonzola, begleitet von gereiften Tropfen bis zur Trockenbeerenauslese von 2010. In der Vinothek selbst dann die süße Variante: Wein x Macarons – sechs Sorten, von Crème Brûlée bis Pistazie, abgestimmt auf Riesling, Spätburgunder und sogar einen Carménère aus Chile. 

Eine Überraschung für Zunge und Kopf, mit viel Wissen & Charme serviert. Der Sonntag begann erneut poetisch mit Andi Substanz, bevor Karl die Große sich mit Bläsern, Tiefe und einem riesigen, charmanten Augenzwinkern direkt ins Herz des Publikums spielten. 

Chartreuse, bereits im Vorjahr beim Kaltern Pop Festival gesehen (und sofort verliebt), zeigten sich erneut sensibel, klangvoll, nah – bald zudem auch wieder beim Haldern Pop zu hören. 


Zum Abschluss dann International Music: Stilbrüche, Stiltreue, Spiel mit der Erwartung. Zwischen Krautrock, NDW und Indie fand sich die Musik selbst neu – und wir mittendrin. Und wer zwischen all dem lieber zum Pinsel als zum Picknickkorb griff, konnte bei der sonntäglichen Sektverkostung mit Aquarellmalerei unter dem Motto „Genießen und Malen“ zur Ruhe kommen. 

Ein stilles Highlight am Rande – prickelnd und pigmentiert zugleich. 


Heimspiel Knyphausen 2025 war wieder ein Fest der leisen Stärke. Musikalisch wie kulinarisch, organisiert mit Herz, Haltung und einem Blick fürs Detail. Kein Festival für Masse – aber ganz sicher eines für Menschen, die Musik erleben und Gemeinschaft spüren wollen. 

Ganz im Zeichen dafür, dass dieses Liebhaberfestival reift – wie guter Wein. Vom 31. Juli bis 2. August 2026 ruft der Draiser Hof  wieder. Zwischen Musik, Worten, Aromen und Menschen. Der Sommer wird wieder nach Heimspiel schmecken. 

Bericht und Fotos: Denis Schinner]


Dienstag, 10. Dezember 2024

Zeitgeist Festival - 07.12.2024 - Doornroosje - Nijmegen

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Konzert: Zeitgeist Festival
Ort: Doornroosje Nijmegen
Datum: 07.12.2024
Dauer: ein Tag
Zuschauer: ausverkauft





Was bewegt jüngere Generationen in Konzerthallen? Das Zeitgeist Festival in Nijmegen scheint es genau zu wissen. 

Vergangenes Wochenende finde ich mich schon um 15:30 in einem prall gefüllten Saal, dabei hat die erste Band ihr Set noch gar nicht begonnen. Wie kann das sein? 

Redet man in Deutschland immer doch wieder nur darüber, junge Menschen überhaupt aus dem Haus und näher der Kultur zu bewegen, wurde hier indes vieles bereits erreicht. Alleine die ersten beiden Konzerte des Festivals können so sehr begeistern, dass ich mir sicher bin, dass ich die Gleichen und noch mehr Jugendliche auch nächstes Jahr wieder sehen werde. 


Angefangen mit der Location: das Doornroosje ist nicht nur zentral gelegen, es bietet zudem drei interne Säle mit voller Ausstattung und exzellenter Sound, zahlreiche Bars mit Sitzgelegenheiten, eine Fahrradgarage, eine Merch-Etage etc. Ein reibungsloser und angenehmer Ablauf ist hier schonmal sicher. Und dann stehe ich pünktlich vor der Hauptbühne und das Festival beginnt mit Maruja, welche dem Haus sichtlich nicht neu sind. 

Wie eine Bombe schlagen Bass, Schlagzeug und (Sprech-) Gesang ein – aufgefangen werden sie immer wieder von jazzig, sphärischen Passagen eines Saxophons. Mit enormer Wucht spielt die Band das vorne tobende (15:00h) Publikum an. Trotzdem ist der Auftritt auch sehr dynamisch Aufgebaut. Denn die Texte sind hier der Taktgeber der Klänge. 


Mal entspricht die Musik wütenden revolutionären Erstreben nach Frieden und Gerechtigkeit und ein anderes Mal plädiert Frontsänger Harry Wilkinson für Zusammenhalt und Solidarität aller Menschen im Saal, während die Band ein psych.-rockiges Crescendo spielt. Mich erfüllt das Konzert mit Euphorie auf hoffentlich zahlreiche noch erscheinende Alben der Band. 

Und dann sehe ich im Anschluss bereits den Grund, warum es mich überhaupt über die Landesgrenze bewegt hatte: Geordie Greep. Der ehemalige Frontsänger von Black Midi spielt zwar mehrfach in den Niederlanden, in Deutschland allerdings nur noch Berlin. Greep und seine Band zeichnet vor allem eins aus: Spielfreude. Auch deshalb kommen sie einfach schon 10 Minuten früher auf die Bühne, seine Gitarre stimmt er dafür während des ersten Songs, der eigentlich auch nur ein spontaner Jam ist.


Damit ist aber noch nicht alles gesagt: Die Musik – eine Synthese aus Black Midi und brasilianischem Salsa – lebt von Übertreibung. Sie durchzieht erstens die Texte, welche meist aus der Perspektive von verbitterten und / oder geschiedenen Freiern erzählt werden. Und sie durchzieht den Klang der Gruppe, wenn sie in manchen Passagen die Hölle auf Erden bespielen und sich ein paar Takte weiter bereits darüber lustig zu machen.

Geordie Greep selbst hat durch einen neuen Gitarristen die Chance, sich allein auf seine Wortketten zu konzentrieren und sich in sein Kabinett an hoffnungslosen Charakteren genaustens hineinzufühlen. Dabei dirigiert er zusätzlich immer wieder seine Band, um spontan ausbrechen zu können. Dem Publikum ist seine Freude am Musizieren greifbar. 

Gerne hätte ich noch den mehr als 10 Minuten langen Track „The Magician“ live gesehen, dafür spielt die Band fast jeden anderen Song des Albums durch. Teilweise werden sich Songs aus dem Publikum gewünscht, es wird häufig mitgesungen; für Black Midi-Verhältnisse alles unvorstellbar. Und es steht ihm gut. 

Greep schafft das Pompöse und die großen Momente, verliert dabei aber nie an Komplexität. 

Zwei aufstrebende Bands mit tollen Auftritten, progressiven Themen und eben für und mit einem jungen Publikum, ein hoffnungsstiftender Tag.


Donnerstag, 28. November 2024

Kaltern Pop Festival - Kaltern (IT) - 26.10.-28.10.2024

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Konzert: Kaltern Pop Festival 2024
Ort: Kaltern am See (IT)
Datum: 26.10.-28.10.2024
Dauer: 3 Tage
Zuschauer: voll


Es ist schon immer eine Herausforderung, dieses Festival. Letzte Herbstferienwoche Nordrhein Westfalen ist dafür immer blockiert und der Rückweg ist dann zeitlich ganz knapp bemessen, so denn schulpflichtige Kinder oder Lehrkräfte mit involviert sind. Nützt aber alles Nix! 

Das Kaltern Pop Festival ist außerhalb von Pandemien und abseits von familiären Jubelterminen eine feste Größe im Festivalkalender. Zudem ist es natürlich auch das Festival mit dem schönsten Drumherum im schönsten Dorf Südtirols, 

Der erste Abend des Ankommens gehört stets der Begegnung. Freunde aus allen Himmelsrichtungen treffen sich in Kaltern und der näheren Umgebung zum Wein und gutem Essen in den hervorragenden Lokalitäten des Ortes. Zum Stern, dem Rottenbacher Hof, im Weißen Rössl, der Weinschmiede, dem Drescher Keller oder zur Linde. 

Viele weitere müssten hier wohl noch genannt werden. Doch am Ende des Tages versammeln sich alle bei Stefan und Peter in der Kaltern Pop Bar. Oder wie es eigentlich heißen müsste: dem Fixstern des Kaltern Pop Festivals! 

Lasst uns hier immer zusammenkommen ! Die Eröffnung des Festivals durch Cantus Domus aus Berlin ist ein absoluter Pflichttermin. Klassik oder Moderne, Bach oder Batkovic, dieser großartige Chor lässt nichts aus und es  niemanden in der Franziskanerkirche, der nicht angefasst wirkt. Das ein und das andere Tränchen wird verdrückt oder verwischt. Standing Ovation! 

Viel Zeit bleibt nicht um das Südtiroler Weinmuseum aufzusuchen. Glücklicherweise geht es danach bergab zu Fitzgerald & Rimini aus der Schweiz. Das Duo poesiert Lieder voller Bilder, die um die Welt gehen und durch die Zeiten springen. Bosporus - Milli, die Hooligan aus UK - Typhus - Klangwelten mit Akkuschrauber und Laptop… dazu eine verrucht sinnliche Stimme. Alles mehr als schick. 
Wieder bergauf zum Vereinshaus. Turbo Trööt - Balkan Brass Punk.  Funktionierte letztjährig als Open Air und als Walking Act großartig. Auf der Bühne im Vereinshaus war es für mich eher nicht passend. Aber die Band tat alles um mich zu überzeugen. 

Wieder bergabwärts zu Zoll & Saturn - Eine fantastische "One Man" Loop Show. Hat mich allerdings auch ein wenig an Emil erinnert. Wo war der eigentlich in diesem Jahr…? 

Für Font (US) allein hätte sich die Anreise gelohnt. Holy Shit! Alles was mit zwei Drumsets daherkommt gilt es zu inhalieren. Dunkel. Kraftvoll. Indie. Fantastisch! 

Für die Geschichten voller Dreck und Schund, gepaart mit grenzenloser Ehrlichkeit, Wiener Schmäh und Rotzigkeit steht Voodo Jürgens. Gnadenlos gut! „denn es ist mir Wurst wo du herkommst oder was du macht. Hauptsache ist, dass du jetzt da bist!“ Stell dir vor… Voodoo Jürgen träfe Udo Jürgens. David und Stefan. Das wäre ein Ereignis.

Neuer Tag - und neue Startschwierigkeiten nach dem gestrigen, feuchten Ausklang in der „Kaltern Pop Bar“. Da kommt ein wenig Sonnenschein zu guter Musik mit Gringo Mayer und Gina Été im Innenhof des Ansitz Windegg gerade recht. Bei heißen Maronen und einem Lagrein lässt sich der Nachmittag entspannt angehen. 

Deutlich intensiver ging es dann im Vereinshaus bei Godwin weiter. Das Soloprogramm von Rob Godwin ist so dermaßen gefühlseinfließend dicht und fast filigran, wäre, ja wäre da nicht dieser eindringliche Bariton. Untermalt von Lambert am Klavier fasste dieses Konzert alle dermaßen an, dass tatsächlich über weite Strecken kein Gespräch, keine übliche Unruhe oder Bewegung zu verspüren war. 
Ganz anders bei St.Paul Tschäss Band. Die Lokalmatadore lieferten besten Jazz im Weinmuseum. Zurück im Vereinshaus begeistert Mel D. ein etwas verschüchtertes Publikum. Warum auch immer, es dauerte ein wenig, bis der Funken übersprang, aber dann war es ein wunderschönes Fenster ins Überallhin. Duo Udite. Der Slot im Weinmuseum brauchte Mut! 

Die vertonte Lebensgeschichte zweier italienischer Frauen brachte den ein oder anderen zum genussvollen Verstummen. Keine leichte  Kost, Aber wer die Beiden und ganz besonders Bettina im weiteren Festivalverlauf bei dem ein oder anderen Konzert getroffen hat, der konnte die durchdringende Begeisterung für dieses Festival erleben. Und als sie ein schallendes „Bravo“ Fabrizio Cammerata entgegenschmetterte, konnte man erleben, mit welcher Leidenschaft Kunst überall und zu jeder Zeit aufgesogen wird.
Adam French - nach vielen Jahren war er mal wieder in Kaltern und brachte mit eingängigem Sound schnell alle auf seine Seite. Für viele war er ein absolutes Highlight des Wochenendes. Beim Verlassen zur Umbaupause überraschten Ben e Blame & the Sugar Shame im Foyer mit gutgegartem Selbstaufgelegten. Zappelnd lässt sich die Stunde Umbau gut überdauern… 

Wer ein Medley, ein Best Off von Gisbert zu Knyphausen, Kid Kopphausen, Gisbert zu Knyphausen & Band und Husten brauchte, der war hier richtig. Dazu ein Set zusammen mit Cantus Domus. Eines steht fest. Es gibt Künstler an denen ich mich wohl nicht satthören kann - Gisbert zu Knyphausen gehört unweigerlich dazu.

Die traditionell samstägliche Matinee im Fest- und Ballsaal des früheren Grandhotel Penegal war fast überfüllt. Dicht an dicht wollten gefühlt diesmal wohl alle Besucher diese einzigartige Stimmung mitnehmen, und die Künstler in leisem Arrangement erleben. 

Chartreuse, Gina Été, Mel D., Adam French, Fabrizio Cammerata, Gisbert zu Knyphausen und Cantus Domus verzauberten für zwei Stunden die ohnehin klangvolle Welt noch ein Stückchen mehr. Nach der kurvenreichen Abfahrt vom Mendelpass durfte sich das verwöhnte Publikum einen weiteren Set von Fabrizio Cammerata leisten - ein opulenter und großartiger Auftritt des kleinen, großen Italieners mit seiner Wahnsinnsstimme, großer Gestik und noch noch größerem Chor. Cantus Domus in der Franziskanerkirche schaffte herausragend den Übergang zum letzten Abend. Ein Fest in absoluter Reife. Schwerer und gehaltvoller ist kein Lagrain. 

Nominiert auch für das beste Lichtdesign des Festivals. In dunklem Rot und Blau tauchte man mit Gina Etá in sanfte und wunderbar tragende elektronische Klangwelten ab, begleitet von einem Streicherinnentrio und ihrem kongenialen Partner…..und dabei immer mit einem gewinnendes Lächeln im Gesicht.


Die dahinterstehende Wut bricht sich nur selten Bahn. Bisou Gina ! Für Chartreuse tanzen sich die Massen im Foyer des Vereinshauses bei einem Surprise Surprise Act mit Ben E Blame & Sugar Shame warm. Was die Briten dann ablieferten blieb lange hängen. Und dabei kamen die vier völlig unpathetisch und nahbar daher. Wir werden sie im Blick behalten. 

Adam French im Klostergarten der Franziskanerkirche. Verlegt vom innen und außen beschreibt wohl ganz gut das Set. Der Garten war gefüllt und in tiefstes Rot gehüllt. Drei Sets in drei Locations die unterschiedlicher kaum sein können. Er bespielt sie alle. Endless Wellness (AUT) - Bester deutschsprachiger Indiepunk. Sie tanzen und fühlen die Enge der Bühne. Mit einem Unterschied: sie erscheinen gnadenlos optimistisch. Rufen! Wecken! Vereinen! 

Und so endet KalternPop 2024 für mich. Ein Gruß geht noch an Zolf & Saturn. Dem finalen Slot trauerte ich auf dem Brennerzubringer nach. Ich hätte mich so gerne noch ein wenig treiben lassen.


Montag, 25. November 2024

Meimuna, 21.11.24, Karlsruhe

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Konzert: Meimuna
Ort: Wohnzimmer in Karlsruhe
Datum: 21.11.2024
Dauer:  80 min
Zuschauer: 25

Bericht von Renate und Matthias - vielen Dank!

Die Band kam mit dem Tourbus direkt von Köln, wo sie einen Auftritt im Club „die Wohngemeinschaft“ hatte. Karlsruhe war der letzte Auftritt ihrer Tournee durch Deutschland. Mit dabei waren diesmal Jeff Albelda an der E-Gitarre (The Company of Men), Antoine als Techniker und ihr Manager Dominic Stämpfli. Cyrielle und Jeff spielten virtuos auf ihren Instrumenten, dazu sang Cyrielle mit glasklarer Stimme. 

 

Jeff stimmte fast unbemerkt mit ein, bis es eine leicht dissonante Zweistimmigkeit wurde, so schön als hätten sie schon immer so zusammen gesungen. Der Klang füllte den Raum bis in die letzte Reihe, wohl austariert von Antoine am Mischpult. Die Musik machte gute Laune, obwohl es doch melancholische Geschichten sind. Cyrielle erzählte wie sie als Kind mit ihren Geschwistern den Sturm Lothar erlebte. Ihre Hände klebten an der großen vibrierenden Glasscheibe, angsterfüllt stand neben ihr die große Schwester und als ihre Mutter die Situation auch gefährlich fand, gingen sie alle in den Keller. Die Konzertgäste lauschten aufmerksamen den sanften und blumigen Klängen und versuchten - je nach Sprachkenntnissen - der französischen und englischen Lyrik zu folgen. Aber auch als Muttersprachler versteht jeder etwas anderes, die Inhalte lassen genügend Interpretation zu. „Traurige Eltern haben traurige Kinder“, soll keine Aussage, sondern eine Frage sein, die jeder für sich beantworten kann. 

 


Cyrielle komponiert nicht nur Musik und Lyrik, sie setzt ihre Gedanken auch in Bilder um. Mit über 2500 Zeichnungen hat sie zu ihrem Song „Tomber de Haut“ einen Film gemacht, der wie ein Daumenkino anmutet. Als Zugabe spielten sie ein Stück aus Cyrielles Kindheit im Kanton Vallis, ihrer geliebten Heimat. So schön es dort ist, es wurde ihr zu eng, zu konservativ. So ging sie dahin wo sie sich besser entfalten kann. Der letzte Song ist ihrer Katze Spoutnik gewidmet. 


 

Spoutnik ist wild und legt sich mit anderen Katzen an und verliert fast immer, was der Katze immer wieder Gefechtwunden einbringt und Cyrielle mit Spoutnik teure Besuche beim Tierarzt. In dem Stück redet Cyrielle ihrer Katze ins Gewissen, dass sie aufhören soll, sich mit allen anzulegen. Ob Spoutnik so klug ist und das versteht? Wir haben diesen Abend sehr genossen und bestimmt trugen so einige die gute Stimmung mit nach Hause.


Setlist:




 

Konzerttagebuch © 2010

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