Montag, 3. November 2025

My sister grenadine

0 Kommentare

Konzert: My sister grenadine
Ort: Wohnzimmer im Europaviertel
Datum: 31. Oktober 2025
Dauer: 80 min
Zuschauer: 23
 

Bericht von Renate, Fotos von Mathias und Martin (vielen Dank!)
 
My Sister Grenadine waren neben Vince Kokot (mit Ukulele, Gitarre, Metronom, Kassettenrecorder, Blasharmonika) diesmal auch Andreas Neumann (Klarinette, Bass Klarinette, Xylophon, Keys, Objekte). Mit Rucksäcken, Taschen und einer Lastenkarre trafen sie am Nachmittag am Hauptbahnhof in Karlsruhe ein, all das Gepäck passte gerade in den Kombi. In unserem Wohnzimmer eingetroffen, wurde ausgepackt, sorgfältig Instrumente und Lautsprecher aufgebaut, Beleuchtung ausgerichtet, dann wieder etwas gedimmt, damit sie das Publikum besser sehen können. Dann ein letzter Soundcheck und Pause für die beiden Musiker. 
 


Die ersten Gäste trafen ein, zwischendurch kamen Kinder an die Tür und wollten Süßes oder Saures, ein Schild an der Tür bat um Ruhe ab 20 Uhr, die Klingel wurde ausgeschaltet, jetzt ist Bühne frei für „My Sister Grenadine“. Man hätte eine Stecknadel fallen hören, so ruhig wurde es. Das Metronom schlägt, mit deutlicher Stimme hören wir von Vince „Sonne“... „Regen“...“Jahr“, die Worte aneinandergereiht, minimalistisch, im Hintergrund Geräusche aus dem Kassettenrecorder. Zunächst eine befremdliche, dann geheimnisvolle Atmosphäre, alle sind gespannt, was jetzt kommt. Jedes Stück ist anders, mal düster, mal melodiös, mal eindringlich, mal bedrohlich, die Spannung und Aufmerksamkeit bleiben und beherrschen den Raum.
 


Vince ist nicht nur Musiker, von ihm sind auch die Texte. Vieles in englischer Sprache, weil ihm das besser mit der Musik klingt, aber Sprechtexte auch in Deutsch. Nur „leuchtende Vögel“ ist keine eigene Lyrik. Sie verarbeiten damit ein Stück von Thomas Brasch und setzen die Worte in szenische Klänge. My Sister Grenadine entstand 2007 als akustisches Projekt von Vince Kokot. Nach Stationen unterschiedlicher Besetzungen stehen Vince und Andreas Neumann (Andy) seit 2023 als Duo auf der Bühne. Andy kann Klarinette und Bass Klarinette und ist außerdem der IT‘ler und Techniker. Er schließt die Augen, dreht an Knöpfen damit der Sound genau so ist wie er ihn will. 
 
 
Plötzlich titscht ein Tischtennisball durch den Raum, danach ein anderes Objekt. Andy spielt mit scheinbar banalen Objekten und setzt sie auf den Punkt musikalisch ein. Mit wechselndem Einsatz ihrer Instrumente singen sie mal solo, mal zweistimmig, meist beide von vorne, dann geht mal Vince, mal Andy hinter das Publikum und singt und spielt von dort, um ein ganz anderes Hörerlebnis zu schaffen. Sie haben keinen Manager, aber ein imaginäres Management, das ihnen immer wieder mit Rat zur Seite steht. Sie sollen mehr „happy Musik“ spielen, dann trifft das mehr Publikum. Tatsächlich haben sie eine Kiste mit solchen eingängigeren Stücken komponiert, wie vom Management empfohlen. Damit gehen sie aber sehr bedacht um. Sie machen und sie spielen die Musik, die aus ihnen kommt, sie komponieren nicht nach Erfolgschancen. Kein Mainstream.
 

Doch aus dem Publikum ruft doch einer nach „happy musik“, und sie erfüllen diesen Wunsch. Das imaginäre Management hat auch empfohlen, die Stücke zu erklären und so dem Publikum die Story dahinter mitzugeben. Das machen sie auch und auch das kommt gut an. So erfahren wir, dass sie Hauskonzerte lieben, weil sie da in Hausschuhen auftreten können, in jedem Haus andere. Wir erfahren auch dass sie für Engagement und Einsatz gegen Rassismus stehen, wohlwissend dass es ein mühsamer Prozess ist und dass sie die Ergebnisse vielleicht gar nicht mehr erleben werden. Zum Schluss gibt es noch eine Zugabe und dann einen regen Austausch mit den Gästen, es ist ein gelungener Abend.


Setlist
Intro / poem
to a void
the journey
leuchtende Vögel (Text Thomas Brasch)
those icicles
fireworks
lee
pour les oiseaux
8:46
future flames
ballad of daylight saving
fixing a riddle

interlude / poem#ballad of joy

a trivial pursuit
emma
equinox / deutscher Herbst

shelter song (Zugabe)
 


Donnerstag, 30. Oktober 2025

Left of the Dial Festival - Rotterdam - 23.10.-25.10.2025

0 Kommentare

 


Konzert: Left of the Dial Festival
Ort: Innenstadt Rotterdam
Datum: 23.10.-25.10.2025
Dauer: 3 Tage
Zuschauer: ausverkauft


Die Wetterprognose für das Wochenende versprach stürmische und regnerische Tage und sie sollte recht behalten. Schon auf dem Weg zwischen den Locations wurde man ordentlich durchgepustet, und so gehörte das frieren im Nieselregen fast genauso zum Festivalerlebnis wie die Musik selbst. Doch irgendwie passte das: Der Wind, die dunklen Wolken, das hektische Lichtermeer der Stadt, all das verlieh dem Left of the Dial 2025 eine ganz eigene Energie. 

Das Left of the dial Festival wächst langsam aber stetig. Dieses Jahr waren es nochmal mehr Spielstätten und Konzerte, viel mehr. Schwerpunkt liegt auf Newcomern aus UK und Irland. Einen deutschen Act suchte man im Line-Up vergeblich. 


Der Festivalauftakt am Donnerstag begann mit No Joy im Theater De Doelen Up. Die Kanadier waren ein perfekter Start: dichte Gitarrenwände, schwebender Gesang und ein Sound, der sofort klarmachte, worum es an diesem Wochenende gehen würde. Um das Eintauchen in neue Klangwelten. No Joy schafften es, das Publikum in eine melancholische, aber zugleich euphorische Stimmung zu versetzen. Ein Auftakt, wie man ihn sich nur wünschen kann. 


Den nächsten schönen Moment gab es mit Green Gardens. Warmes Schlagzeug, schöne Melodien, weicher Indie-Rock, der sich anfühlte wie eine Umarmung nach einem langen, kalten Tag. Ihr Set war unaufgeregt, ehrlich und voller Gefühl. Zwischen all den lauten, kantigen Bands war das ein wohltuender Ruhepunkt. Fast so, als würde jemand kurz die Tür zum Sturm schließen und sagen: Bleib doch noch ein bisschen hier. 


Danach ging es weiter durch die Stadt. Vom eleganten Theater wo DBA! aus Liverpool einem ordentlich einheizten bis in kleinere Clubs, wie das Cube, wo man PollyfromtheDirt lauschte. Überall Menschen mit Festivalbändchen, tropfnassen Jacken und leuchtenden Augen. 

Freitag – Entdeckungen zwischen Windstille und Wohlklang. Am Freitag hatten Wind und Regen deutlich nachgelassen. Nach Sturmtief Benjamin am Donnerstag fühlte sich die Stadt fast schwerelos an. Über Rotterdam lag eine ruhige, gespannte Festivalenergie. Man konnte endlich ohne Jacke von venue zu venue ziehen und sich ganz auf die Musik konzentrieren. 


Eines der Highlights am Freitag war die US-Amerikanerin Prewn. Eine klare Stimme, zerbrechlich und doch kraftvoll, jeder Song hatte Gewicht. Ihre Musik war melodisch, leicht und schwer zugleich, voller schöner Gegensätze. Zwischen den Songs zeigte sie sich sympathisch, witzig und nahbar. Prewn hat dieses seltene Talent, das Publikum zum Lächeln und gleichzeitig fast zum Weinen zu bringen. 

Später in der Paradijskerk spielten DUG, die mit ihrer fesselnd freundlichen und optimistischen Stimmung im feinsten Americana-Folk das Publikum verzauberten. Ihre Songs waren warm, erzählerisch und voller Charme und für einen Moment verwandelte sich die alte Kirche gefühlt in einen kleinen Pub irgendwo in den Hügeln Irlands. Es war einer dieser Auftritte, die keine großen Effekte brauchen, nur Ehrlichkeit und Herz. 


Samstag – Durchgefeiert bis zum letzten Akkord. Der Samstag fühlte sich an wie das große Finale einer intensiven Reise. Die Tageskonzerte des „Official Unofficial“-Programms lockten bereits am Nachmittag viele in kleine Bars und Cafés, wo es bereits tolle Bands wie Pebbledash zu sehen gab. Präsentiert, wie zwei weitere Bands, von unseren Freunden des Misty Fields Festival.

Auch die Band Ain´t ist ein Traum für alle, die den 90er-Gitarrensound lieben. Wunderschön melodisch, mit schnellem, treibendem Bass und einer großartigen Sängerin, deren Stimme zwischen Kraft und Melancholie pendelte. Den Tag über ging es weiter von Bühne zu Bühne, immer wieder neue Überraschungen, neue Sounds, neue Begegnungen. 


Am Abend erreichte das Festival seinen Höhepunkt. Basht. (mit Punkt) spielten ein beeindruckendes Abschluss-Set, das noch einmal zeigte, warum Left of the Dial kein gewöhnliches Festival ist: Es geht hier nicht um große Namen, sondern um das Gefühl, Teil von etwas Echtem und Unvorhersehbarem zu sein. 

Einen tollen Moment wollen wir nicht vergessen: Zac Lawrence, ansonsten oberkörperfreier Sänger der Band Deadletter präsentierte in der Kirche sein wirklich gelungenes Solo-Album "Beware of Pity". (Hörtipp)   
 
Natürlich haben wir noch viel mehr gute Acts gesehen. Diese stellen wir euch in den nächsten Tagen immer noch in einzelnen Insta-Posts vor.


Left of the Dial war Laut, nass und echt. Man kommt, um neue Bands zu entdecken, und geht mit einem halben Dutzend Lieblings-Acts im Kopf wieder zurück nach Hause. Man läuft durch Regen und Wind, verliert sich in unbekannten Straßen und findet genau dort den Soundtrack, den man nie gesucht, aber dringend gebraucht hat. 

Rotterdam hat an diesem Wochenende wieder einmal gezeigt, dass Musik nicht glatt und bequem sein muss. Sie darf weh tun, nass machen und überraschen. Und genau das war Left of the Dial 2025: laut, ungeschliffen und absolut großartig.

Der VVK für 2026  hat bereits begonnen: TIX 2026: 


Donnerstag, 21. August 2025

Lowlands Festival - 14.08.-17.08.2025 - Biddinghuizen/NL

0 Kommentare

 


Konzert: Lowlands Festival
Ort: Biddinghuizen/NL
Datum: 14.08.-17.08.2025
Dauer: 4 Tage
Zuschauer: 65.000 sold out



Die Ankunft am Campingplatz am Freitagmorgen beginnt mit der typisch entspannten Lowlands-Atmosphäre: Der Campingplatz im niederländischen Biddinghuizen ist bereits gut gefüllt, da die Anreise bereits am Donnerstag möglich ist. 

Nun heißt es Zeltleinen straffen, Heringe in den Boden schlagen und dann dieser weite Blick über die aufgehende Festivalstadt: bunte Zelte, erste Begegnungen, Musik weht einem entgegen und die Vorfreude greift wie ein freundlicher Pogo. Schon erste Blicke auf das Gelände verheißen ein abwechslungsreiches Wochenende: Kunstinstallationen auf grünen Wiesen, kreative Skulpturen – so wird der Festivalgeist greifbar. Man fühlt sich als Gast und nicht als Kunde.

Ein Beispiel sind die Übergänge vom Zelt-zum Festivalgelände. Keine Zäune oder schlecht gelaunten Secs erwarten einen hier. Den Besuchern wird vertraut und die belohnen sich selbst und den Veranstalter mit einem unglaublich relaxten Wochenende. 



Alles stimmt an diesem ersten Festivaltag. Das Wetter ist perfekt, blauer Himmel, warme Sonnenstrahlen und dazu gibt es ja auch noch Konzerte auf mehr als 10 Bühnen bis tief in die Nacht. Life as it should be.


Der energiegeladene Auftritt der Irischen Musikerin CMAT mit vollem Namen Ciara Mary-Alice Thompson, lädt mit den ersten Tönen zu einem Wochenende voller Entdeckungen und musikalischer Vielfalt ein. "The Guardian" schrieb über ihre Musik: „Ihre Lieder sind traurig und doch zugänglich, emotional gebildet und geschickt gestaltet, aber, was entscheidend ist, mit einem enormen Sinn für Humor."

Und genau dieser Humor und die Spielfreude der Band sind ein perfekter Auftakt für den ersten Tag. Weiter geht es zu einem kurzen Abstecher ins "Bravo" (eigentlich der Tanztempel der Nacht. Ein Zelt für ca. 10.000 Zuschauer) um bei Kingfishr feinsten Irischen Indie Folk zu hören, der einen an Mumford and Sons erinnern lässt. 

Das Programm beim Lowlands ist so vielfältig und auf dem eigentlichen Weg zur nächsten Location gibt es soviel zu entdecken, manchmal schafft man es nicht immer alle Konzerte komplett zu erleben. Auf dem Weg zum "Alpha" (der Main-Stage Dome) gibt es noch einen kurzen Moment im "India" Podium, dort stehen Deadletter auf der Bühne, die für ihren energiegeladenen Post-Punk-Sound bekannt sind, der Elemente von The Fall und LCD Soundsystem aufgreift. Dringend zu empfehlen. 


Zwei Bands die ich auf jeden Fall an diesem ersten Tag komplett sehen wollte, spielen im Alpha: London Grammar: kühl, makellos, unnahbar. Als Hannah Reid und ihre Band die Bühne betreten, ist alles perfekt, fast zu perfekt. Glasklare Stimme, makelloser Sound, jede Note sitzt wie aus dem Studio geschnitten. 

Doch zwischen Bühne und Publikum liegt eine unsichtbare Glasscheibe. Kaum ein Wort, kein Blick, kein Moment, der diese Barriere durchbricht. Viele lauschen gebannt, andere spüren eine kühle Distanz – schön anzuhören, aber schwer zu fühlen. Dazu passt die Sonnenbrille, die Hannah das gesamte Konzert nicht abnehmen wird, obwohl sie in unter einem riesigen Dach spielt. Ein Konzert wie ein poliertes Kunstwerk: man bewundert es, aber man berührt es nicht. 


Queens of the Stone Age dagegen: roh, direkt, ein verschwitzter Traum.  Als Josh Homme und seine Mitstreiter übernehmen gibt es keine Spur von Zurückhaltung. Jeder Riff ein Faustschlag, jede Ansage ein Augenzwinkern. Die Band verschmilzt mit der Menge, und als Josh Homme sich spontan direkt in die Zuschauer hineinwirft, lebt er und wir im Moment.

Wo London Grammar Abstand hielt, reißen Queens of the Stone Age die Festivalmauern ein. Zwei Extreme an einem Tag – und genau dafür liebt man Festivals: Man kann sich erst im kühlen Neonlicht verlieren und später in rotem Scheinwerferfeuer wiederfinden. 


Am zweiten Tag passiert, das was sich jeder Festival Liebhaber wünscht, die Erinnerung an die an dem Tag bis dahin gesehen Bands ist verschwimmt im Nachhinein, denn ein Abend mit FKA Twigs ist kein gewöhnliches Konzert. Es fühlte sich eher wie ein Theaterstück an, vielleicht sogar wie ein Ritual, in dem wir alle Zeugen wurden oder Komplizen. 

Von der ersten Minute an stand die Bühne nicht nur für Musik, sondern für ein Spiel aus Körper, Stimme und Emotionen. Die Show begann roh und brutal: Bewegungen, die an Kampf erinnerten, scharfe und brutal klare und laute Beats, die den Raum zerschnitten, und eine Intensität, die das Publikum in den Bann zwang. Fast animalisch, voller Kraft, fast gewalttätig in ihrer Direktheit. 


Doch diese Härte verwandelte sich mit fließender Eleganz. Zwischen schweißtreibender Ekstase (wirklich) und hochgradig sexuell aufgeladener Präsenz offenbarte FKA Twigs eine Sinnlichkeit, die nie platt, sondern immer kunstvoll inszeniert war. Tanz, Gesten und Blicke verwoben sich zu einer körperlichen Sprache, die so unmittelbar wirkte, wie ihre Songs. 

Dann folgten die Brüche. Plötzlich zerbrechlich, fast verletzlich, stand sie da und sang Balladen, die so hoch emotional waren, dass der ganze Saal in eine andere, fast intime Sphäre gezogen wurde. Jeder Ton wirkte wie ein Geständnis, jede Silbe wie ein offener Nerv. FKA Twigs erzählte an diesem Abend keine Geschichte im klassischen Sinn. Sie zeigte Zustände, Extreme, Übergänge – roh, brutal, sexuell aufgeladen, dann wieder sinnlich und verletzlich. Es war ein Fiebertraum, aus dem man am Ende aufwachte, ein wenig benommen, ein wenig verändert. 

Der dritte Tag begann noch im Halbschlaf: Black Country, New Road eröffneten mit zarten, verschlungenen Songs, die wie ein vorsichtiges Aufwachen wirkten. Fragil, manchmal brüchig, dann plötzlich kraftvoll – ihre Musik schuf sofort eine besondere Nähe zwischen Bühne und Publikum. 


Es folgten die Fontaines DC. Ihr Auftritt war laut, treibend, kantig – aber vielleicht zu sehr auf Autopilot, nach einem vollen Jahr auf Tournee. Die Energie war da, die Songs rissen mit, aber es fehlte das Unberechenbare, das Überraschende. Man sah eine Band, die weiß, wie man ein Festivalpublikum bedient, aber die Leidenschaft schien ein Stück weit hinter der Routine zu verschwinden. 

Und doch: die Menge ließ sich mitreißen, tanzte, schrie. Die Energie stimmte, das Publikum ging mit, aber die Überraschung fehlte. Ein Sturm, der zündet, aber kaum nachhallt. Als die Sonne langsam tiefer sank, brachte MK.GEE eine andere Farbe ins Spiel. Sein Sound erinnerte an die elektronische Phase von  Bon Iver – dieses Schweben zwischen Intimität und elektronisch verzerrter Entrückung. 

Plötzlich war da Wärme, fast so, als würde jemand eine Decke um die erschöpften Körper legen. Seine Stimme klang verletzlich und nah, die Songs breiteten sich aus wie kleine Träume. Zwischen all der Lautstärke des Tages war das einer der Momente, in denen man wirklich stehen blieb, um zu lauschen. 
Sein Gesicht war zu fast keiner Sekunde erkennbar, Nebel und Stobolicht boten eine anstrengende und oft nicht passende Untermalung dieses musikalisch fantastischen Konzerts. 

Zum Abschluss verwandelte Jamie xx das Gelände in eine Tanzfläche. Mit dichten, hypnotischen Beats trug er die Menge durch den Abend, baute Spannung auf und löste sie immer wieder ein. Ein Finale, das weniger Konzert als kollektives Abschiednehmen war. Auf jedem anderen Festival wäre dieses DJ-Set herausragend. Hier tanzt man zu ähnlich guter Musik noch auf sieben weiteren Bühnen mit diversen Stilen durch die Nacht.


Am Morgen danach begann das eigentliche Erwachen. Das Festivalgelände lag stiller da, nur das Knistern von Müllsäcken und das Quietschen zusammenfallender Zeltstangen war zu hören. Mit jedem Handgriff beim Abbau, mit jeder zusammengerollten Isomatte verabschiedete man sich ein Stück mehr von den letzten Tagen.


Als der letzte Hering aus der Erde gezogen war, blieb ein Moment des Innehaltens: der Blick über den leeren Zeltplatz, über Spuren von Nächten voller Musik und Begegnungen. Müde, aber glücklich ging es zurück Richtung Alltag – mit der Gewissheit, dass die Vorfreude auf das nächste Jahr schon jetzt wieder wächst.


Mittwoch, 13. August 2025

Heimspiel Knyphausen Festival 2025

0 Kommentare



Konzert: Heimspiel Knyphausen
Ort: Eltville
Datum: 25.07-27.07.2025
Dauer: 3 Tage
Zuschauer: ausverkauft


Giesbert lädt ein – und wieder füllt sich der Draiser Hof mit Klang, Kunst und ganz viel Seele. Vom 25. bis 27. Juli 2025 verwandelte sich das Weingut Baron Knyphausen wieder in einen der stimmungsvollsten Orte für Musikliebhaber:innen zwischen Reben, Rhythmus und Riesling. 

Rund 2.500 Gäste fanden sich ein – das Festival war restlos ausverkauft. Heimspiel eben, auch wenn angesichts der eher düsteren Wetterprognosen zuletzt sogar noch Camperticktest von privat zu privat zu bekommen waren. 

Die FAZ nannte es treffend „ein besonderes Fest“ – ein Festival, das sich bewusst klein hält, ohne dabei an Relevanz zu verlieren. Ganz im Gegenteil. Statt Massenspektakel: echte Gläser, Kindertribüne, Picknickdecken und na klar Gummistiefel. 


Und ein Line‑Up, das nicht auf Retro-Nostalgie, sondern auf aktuelle Klangmomente setzt. Kuratiert mit Herz und Haltung – von Gisbert zu Knyphausen und Benjamin Metz. Schon am Donnerstag: Anreise, Aufbau, Wiedersehen. Obstwiese für Familien, Sportplatz, Pensionen oder Hotel für alle anderen. Die Stimmung war sofort da. Der Bühnengraben diesmal passend von Johannes und seinem Team platziert und auch und Doro als Stage Managerin war wieder an Bord. Mehr Überblick, mehr Ruhe – vor wie hinter der Bühne. 


Und wie immer: ein Festival, das wächst, ohne sich zu verbiegen. Noch bevor der erste Ton erklang, klapperte es: Andi Substanz aus Münster – Poetry Slammer, Lyriker und Maschinenpoet – war an allen drei Tagen präsent. Zwischen Open Doors und dem ersten Gig setzte er sich mit seiner Reiseschreibmaschine unter Bäume und zwischen Bänke, nahm Stichworte entgegen und tippte Gedichte. Direkt, persönlich, liebevoll. Eine neue (?) Festivaltradition zum Mitnehmen. Und ein Beweis dafür, dass beim Heimspiel nicht nur Musik, sondern auch Poesie in der Luft liegt. 

Der Freitag begann mit einer leisen Wucht: Edna Million eröffnete das Festival – und war meine ganz persönliche Überraschung. Eine Performance, so reduziert wie eindringlich. Eine Stimme, die nicht gefallen will, sondern erzählt. Und das mit einer Tiefe, die bleibt. Danach: Tonbruket. Die schwedische Band mit Jazzwurzeln und Postrock-Vision schuf einen Raum, in dem sich Genres auflösten und das Publikum einfach hineinfiel. Ihr Auftritt war dabei nicht zufällig – Gisbert selbst hatte sich Tonbruket explizit gewünscht, ein Herzensact. Und dieser Wunsch zahlte sich aus: Das Zusammenspiel von atmosphärischer Klangarchitektur, instrumentalem Erzählen und musikalischer Weite war pure Festivalmagie. 


Zum Abschluss des ersten Abends dann Warhaus. Die Band beendete den Tag mit melancholischer Grandezza – belgischer Nachdenklichkeit, cineastischem Sound und einem Auftritt wie ein gutes Buch: dunkel, dicht, nachwirkend. Warhaus wurde 2016 als Solo-Musikprojekt von Maarten Devoldere, Frontmann der belgischen Band Balthazar, ins Leben gerufen. Teile der Songs wurden damals sogar mit der Stammband eingespielt. Schon das Debütalbum „We Fucked a Flame into Being“ (2016) war eine künstlerische Wucht – dunkel, elegant, intellektuell aufgeladen. 2024 folgte die vierte Platte: „Karaoke Moon“. Der Titel ist nicht nur Zitat, sondern Konzept – denn Karaokeeinlagen mit dem Publikum gehören seitdem gern ins Live-Set. 


Auch beim Heimspiel wurde das Mikro im besten Sinne geteilt. Der Samstag begann auf dem Rhein: Heimspiel-Liner mit Hannes Wittmer. Zwei Konzerte, zwei Fahrten, viele Gänsehautmomente – zwischen Wasser, Wind und Weinglas. Wittmer, vielen noch bekannt als Spaceman Spiff, begleitet die Morgenfahrt nicht nur musikalisch, sondern auch thematisch mit Tiefe: Seine Songs setzen gesellschaftskritische Akzente, erzählen aber zugleich mit großer Offenheit von psychischen Erkrankungen wie Depressionen. 

Damit richtet sich sein Blick nicht nur auf das Schöne, sondern auch auf die dunkleren Seiten des Lebens – achtsam, poetisch, klar. Ein Einstieg ins Festival, der unter die Haut ging. Zurück am Hof eröffnete Philippa Kinsky – klar, eigen, aufrichtig. 


Danach: Samuel Nicholson, gewohnt intensive und für alle ein herausragender Act. Und dann kam die zweite große Überraschung: Nils Keppel. Ursprünglich sprang er für die sehnsüchtig erwarteten Personal Trainer ein – die Indie-Helden aus Amsterdam, bekannt für überbordende Liveshows, orchestrale Setups und viel Krach mit Köpfchen. Doch was als Lückenfüller begann, wurde zum Volltreffer. 

Nils überzeugte mit Charisma, klarer Sprache und musikalischer Wucht auf ganzer Breite. Später am Abend: Isolation Berlin – zum ersten Mal live beim Heimspiel, nach ihrem legendären, kontaktlosen Auftritt bei „Heimspiel Daheim“ während der Pandemie, damals gefilmt von Drohnen, moderiert von Christiane Falk (radioeins). 


Jetzt standen sie endlich vor echtem Publikum – roh, ehrlich, laut. Und den Abschluss des Tages setzte Noga Erez. Headliner, Haltungsträgerin, Ausnahmekünstlerin. Geboren in Israel, nicht im Einklang mit der Politik ihres Landes, dennoch immer wieder auch Zielscheibe von Anfeindungen. Ihre Performance: kompromisslos, klug, kraftvoll. Und ein starkes Zeichen in einem Musikbusiness, das Frauen nach wie vor strukturell benachteiligt. 


Nicht so beim Heimspiel – hier ist Diversität Programm. Auch kulinarisch wurde am Samstag einiges geboten: Im Weinlager der Vinothek fand die exklusive Käse-Wein-Probe statt – mit Klassikern wie Stilton, Comté und Löffelgorgonzola, begleitet von gereiften Tropfen bis zur Trockenbeerenauslese von 2010. In der Vinothek selbst dann die süße Variante: Wein x Macarons – sechs Sorten, von Crème Brûlée bis Pistazie, abgestimmt auf Riesling, Spätburgunder und sogar einen Carménère aus Chile. 

Eine Überraschung für Zunge und Kopf, mit viel Wissen & Charme serviert. Der Sonntag begann erneut poetisch mit Andi Substanz, bevor Karl die Große sich mit Bläsern, Tiefe und einem riesigen, charmanten Augenzwinkern direkt ins Herz des Publikums spielten. 

Chartreuse, bereits im Vorjahr beim Kaltern Pop Festival gesehen (und sofort verliebt), zeigten sich erneut sensibel, klangvoll, nah – bald zudem auch wieder beim Haldern Pop zu hören. 


Zum Abschluss dann International Music: Stilbrüche, Stiltreue, Spiel mit der Erwartung. Zwischen Krautrock, NDW und Indie fand sich die Musik selbst neu – und wir mittendrin. Und wer zwischen all dem lieber zum Pinsel als zum Picknickkorb griff, konnte bei der sonntäglichen Sektverkostung mit Aquarellmalerei unter dem Motto „Genießen und Malen“ zur Ruhe kommen. 

Ein stilles Highlight am Rande – prickelnd und pigmentiert zugleich. 


Heimspiel Knyphausen 2025 war wieder ein Fest der leisen Stärke. Musikalisch wie kulinarisch, organisiert mit Herz, Haltung und einem Blick fürs Detail. Kein Festival für Masse – aber ganz sicher eines für Menschen, die Musik erleben und Gemeinschaft spüren wollen. 

Ganz im Zeichen dafür, dass dieses Liebhaberfestival reift – wie guter Wein. Vom 31. Juli bis 2. August 2026 ruft der Draiser Hof  wieder. Zwischen Musik, Worten, Aromen und Menschen. Der Sommer wird wieder nach Heimspiel schmecken. 

Bericht und Fotos: Denis Schinner]


Dienstag, 10. Dezember 2024

Zeitgeist Festival - 07.12.2024 - Doornroosje - Nijmegen

0 Kommentare

 


Konzert: Zeitgeist Festival
Ort: Doornroosje Nijmegen
Datum: 07.12.2024
Dauer: ein Tag
Zuschauer: ausverkauft





Was bewegt jüngere Generationen in Konzerthallen? Das Zeitgeist Festival in Nijmegen scheint es genau zu wissen. 

Vergangenes Wochenende finde ich mich schon um 15:30 in einem prall gefüllten Saal, dabei hat die erste Band ihr Set noch gar nicht begonnen. Wie kann das sein? 

Redet man in Deutschland immer doch wieder nur darüber, junge Menschen überhaupt aus dem Haus und näher der Kultur zu bewegen, wurde hier indes vieles bereits erreicht. Alleine die ersten beiden Konzerte des Festivals können so sehr begeistern, dass ich mir sicher bin, dass ich die Gleichen und noch mehr Jugendliche auch nächstes Jahr wieder sehen werde. 


Angefangen mit der Location: das Doornroosje ist nicht nur zentral gelegen, es bietet zudem drei interne Säle mit voller Ausstattung und exzellenter Sound, zahlreiche Bars mit Sitzgelegenheiten, eine Fahrradgarage, eine Merch-Etage etc. Ein reibungsloser und angenehmer Ablauf ist hier schonmal sicher. Und dann stehe ich pünktlich vor der Hauptbühne und das Festival beginnt mit Maruja, welche dem Haus sichtlich nicht neu sind. 

Wie eine Bombe schlagen Bass, Schlagzeug und (Sprech-) Gesang ein – aufgefangen werden sie immer wieder von jazzig, sphärischen Passagen eines Saxophons. Mit enormer Wucht spielt die Band das vorne tobende (15:00h) Publikum an. Trotzdem ist der Auftritt auch sehr dynamisch Aufgebaut. Denn die Texte sind hier der Taktgeber der Klänge. 


Mal entspricht die Musik wütenden revolutionären Erstreben nach Frieden und Gerechtigkeit und ein anderes Mal plädiert Frontsänger Harry Wilkinson für Zusammenhalt und Solidarität aller Menschen im Saal, während die Band ein psych.-rockiges Crescendo spielt. Mich erfüllt das Konzert mit Euphorie auf hoffentlich zahlreiche noch erscheinende Alben der Band. 

Und dann sehe ich im Anschluss bereits den Grund, warum es mich überhaupt über die Landesgrenze bewegt hatte: Geordie Greep. Der ehemalige Frontsänger von Black Midi spielt zwar mehrfach in den Niederlanden, in Deutschland allerdings nur noch Berlin. Greep und seine Band zeichnet vor allem eins aus: Spielfreude. Auch deshalb kommen sie einfach schon 10 Minuten früher auf die Bühne, seine Gitarre stimmt er dafür während des ersten Songs, der eigentlich auch nur ein spontaner Jam ist.


Damit ist aber noch nicht alles gesagt: Die Musik – eine Synthese aus Black Midi und brasilianischem Salsa – lebt von Übertreibung. Sie durchzieht erstens die Texte, welche meist aus der Perspektive von verbitterten und / oder geschiedenen Freiern erzählt werden. Und sie durchzieht den Klang der Gruppe, wenn sie in manchen Passagen die Hölle auf Erden bespielen und sich ein paar Takte weiter bereits darüber lustig zu machen.

Geordie Greep selbst hat durch einen neuen Gitarristen die Chance, sich allein auf seine Wortketten zu konzentrieren und sich in sein Kabinett an hoffnungslosen Charakteren genaustens hineinzufühlen. Dabei dirigiert er zusätzlich immer wieder seine Band, um spontan ausbrechen zu können. Dem Publikum ist seine Freude am Musizieren greifbar. 

Gerne hätte ich noch den mehr als 10 Minuten langen Track „The Magician“ live gesehen, dafür spielt die Band fast jeden anderen Song des Albums durch. Teilweise werden sich Songs aus dem Publikum gewünscht, es wird häufig mitgesungen; für Black Midi-Verhältnisse alles unvorstellbar. Und es steht ihm gut. 

Greep schafft das Pompöse und die großen Momente, verliert dabei aber nie an Komplexität. 

Zwei aufstrebende Bands mit tollen Auftritten, progressiven Themen und eben für und mit einem jungen Publikum, ein hoffnungsstiftender Tag.


 

Konzerttagebuch © 2010

Blogger Templates by Splashy Templates